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Luxus im Verborgenen

06.08.2015 15:20 Uhr
© Foto: Sascha Böhnke

Ein Neoplan Tourliner will im Luxussegment mitmischen? Wie soll das funktionieren? Schließlich steht der Tourliner für ein preiswertes Fahrzeug ohne Schnick und Schnack. Aber genau das macht dieses Konzept so spannend. Und so kommt ein Edelbus hinter unscheinbarer Fassade vorgefahren. Wäre das nicht was für eine Business-Class?

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Unter 300.000 Euro kostet dieser Bus. Das ist eine echte Ansage, denn die Rede ist von einem 14-Meter-Dreiachser mit einem großen, starken Motor, mit Sicherheitstechnik vom Feinsten, jeder Menge Assistenzsystemen bis hin zum GPS-basierten Tempomat und mit einer Inneneinrichtung, die die hochwertige Reise im Blick hat oder eben ein hierzulande noch unbekanntes Segment bedienen will: die Business-Class der Fernlinie. 2+1-Bestuhlung ist das Synonym für Reise­luxus, für Fahrten ohne Sitznachbarn und wenn man doch einen hat, dann mit viel Abstand und einem bequemen Sitz, der fast die Bezeichnung Sessel verdient. Das alles bietet der gefahrene Tourliner. Zum ersten Mal erblickte dieser Typ 2004 das Licht der Buswelt und wurde seitdem 2.500 Mal gebaut. Hierzulande allerdings sieht man das Fahrzeug nur selten, kein Wunder, seine Hauptabsatzmärkte liegen in der Türkei und in England. Warum das so ist, wird klar, wenn man an seinen ­Bruder, den MAN Lion’s Coach, denkt. Abgesehen vom Design im Innen- und Außenbereich handelt es sich nämlich im Grunde um identische Fahrzeuge. Die Kategorie der preiswerten, einfacheren Busse wird in Deutschland von MAN bedient, Neoplan-Deutschland ist eher City- und Starliner-Land. Und da kommt nun die Tourliner-Besonderheit ins Spiel: sein ebener Boden. Ja, den hat er. Stolze 3,80 Meter misst der Bus in der Höhe, das ist in dieser Fahrzeugklasse ordentlich und das ermöglicht dann auch den Verzicht auf den Mittelgang, üppiger Innenstehhöhe sei Dank. Seitdem der Starliner nicht mehr produziert wird, ist der Tourliner somit das einzig ver­bliebene Fahrzeug aus dem Hause Neoplan, bei dem sich eine 2+1-Bestuhlung verwirk­lichen lässt.

Da weint der Buskenner und flucht der Fahrgast? Mitnichten. Denn was sich aus der Kombination preiswertes Fahrzeug und gehobene Innenausstattung machen lässt, eröffnet neue Möglichkeiten, insofern man sich auf neue Sichtweisen einlässt. Welche Zahl steht denn in der Regel beim Kaufpreis eines 2+1-Busses vorn? Doch meistens eine stolze Vier. Doch dem Fahrgast ist die äußere Hülle bekanntermaßen egal, solange der Bus modern wirkt, sauber ist und einen kompetent wirkenden Fahrer hinter dem Steuer hat. Viel wichtiger ist das Thema Bequemlichkeit und Komfort. Und da braucht sich der Tourliner mit seiner ­Luxusausstattung und dem Efficient-Paket nicht zu verstecken.

Der Geschäftsreisende wäre eine tolle Zielgruppe für die Fernbusbranche. Doch der hat keine Lust, sich in einen vollen Bus zwischen Gäste zu quetschen, die es „Hauptsache billig" wollen. Wenn er nicht fliegt, dann nimmt er meist das Auto, den Bus hat er bisher wohl kaum auf der Agenda. Genauso wenig wie auch der Fernbusbetreiber, denn der Verzicht auf etwa 14 Sitzplätze ist schlicht nicht finanzierbar. Und da kommt der Tourliner ins Spiel, denn den gibt es bereits ab 260.000 Euro.


Neoplan Tourliner L

Neoplan Tourliner L Bildergalerie

Tourliner
© Foto: Sascha Böhnke

GPS-unterstützter Tempomat ist die Zukunft

Dieser Bus ist ein reifes Fahrzeug. Seine Kinderkrankheiten (und von denen gab es wohl einige) hat er längst abgelegt und wer sich seine Produktion am runderneuerten MAN-Standort in Ankara anschaut, der kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Korrosionsprobleme sollten heute kein Thema mehr sein, ebenso wenig wie Verarbeitungsmängel. Fahren lässt sich der Bus zudem spielerisch. Das Fahrwerk ist Spitze und gibt keinen Grund zum Nörgeln. Der D26-Motor ist der den auch ein Neoplan Cityliner an Bord hat und der erfüllt nicht nur die Euro 6-Norm mit Leichtigkeit, sondern fällt auch durch einen moderaten Kraftstoff­verbrauch auf. Geschaltet wird per MAN TipMatic, also einer angepassten ZF-AS Tronic-Variante. Die macht ihre Arbeit ausgezeichnet und schaltet die Gänge butterweich. Durch spezielle Rangiermodi lässt es sich damit auch in engen Bereichen ordentlich arbeiten. Abgesehen von ESP, einem sehr sauber arbeitenden Abstandsregeltempomaten und natürlich dem neuen Notbremsassistenten EBA 2 hat der Tourliner ein weiteres, sehr wichtiges Feature an Bord. MAN nennt es „EfficientCruise“. Dabei handelt es sich um einen GPS-unterstützten Tempomaten, der den Verlauf und die Topo­grafie der befahrenen Straße erfasst und den Fahrer in Sachen wirtschaftlicher Fahrweise unterstützt. Das System hat im Test vorzüglich funktioniert. So wird beispielsweise kurz vor einer Bergkuppe ausgekuppelt, damit der Bus über diese im Leerlauf rollen kann, um kurz darauf aufgrund der Schwerkraft bis Tempo 104 zu beschleunigen. Am Berg wird zudem ein Zurückschalten verhindert, wenn das ­System erkennt, dass der eingelegte Gang ausreichend ist. Das gesamte System arbeitet ­ohne nötige Fahrereinstellungen – so soll es sein. Solche Systeme werden sich durch­setzen. Denn der Computer ist schlauer als der beste Fahrer. Dieser Satz provoziert und doch stimmt er in zahlreichen Fällen. Wer bereits die Gelegenheit hatte, einen Bus mit einem topografie- oder GPS-basierten Tempomaten zu fahren, kennt sie, die Situationen, in denen der Bus auf scheinbar gerader Strecke plötzlich auskuppelt und es rollen lässt. Oder wenn schon vor ­Beginn einer Steigung plötzlich einen Gang runtergeschaltet wird. Oder wenn bereits vor der Bergkuppe ausgekuppelt und der Schwung zum Darüberrollen genutzt wird. Es sind Si­tuationen, in denen ein herkömmliches automatisiertes Schaltgetriebe erst reagiert, wenn die Last entsprechend abgefordert wird. Oder in denen der manuell schaltende Fahrer gar nicht reagieren würde. Nach dem Motto „Passt schon“ fährt man so, wie man schon immer gefahren ist. Das ist aber in Sachen Kraftstoff­ersparnis immer schlechter, als es der Computer könnte. Bis zu acht Prozent lassen sich so einsparen – dauerhaft. Assistenzsysteme, wie das hier vorgestellte, kosten nicht die Welt, bieten aber einen echten Mehrwert. Voraus­setzung ist natürlich, dass sie vernünftig ­konfiguriert und zu bedienen sind. Das freut den Unternehmer. Den Fahrer natürlich auch, der aber ärgert sich über einige Kleinigkeiten, die seinen Arbeitsalltag unnötig erschweren. So besitzt der Bus zwar Fächer über den Achsen mit schön viel Platz – nicht aber die Klappen an der Außenseite dazu. Schade, denn so muss man sich stets in den Kofferraum quetschen, um sein Zeug zu verpacken. Auch nicht wirklich praktisch ist die Anordnung der Tanköffnung hinter der geöffneten Tür 1. Das ist heute meist besser gelöst. Oder die Platzierung der Frischwasserbehälter. Der für die Küche ist sehr weit hinten im Kofferraum verstaut und die beiden Tanks für das WC lassen sich prinzipiell nur per Schlauch befüllen. Doch das sind Kleinigkeiten, die das Gesamtkonzept, das hinter diesem Fahrzeug steckt, nicht schmälern. Zugegeben, der Chef dürfte mit diesem Bus mehr Freude haben als der Fahrer, der es rundherum praktisch liebt. Doch wer einen zuverlässigen Bus ohne viel Schnickschnack sucht, ist genau hier am Ziel angelangt. Zumal es in Sachen Innenausstattung und Konfigurationsmöglichkeiten eine lange, lange Liste gibt. Gut möglich, dass es in zwei Jahren einen überarbeiteten Tourliner geben könnte, doch bis das soweit ist, ist der jetzige Bus ein echter Geheimtipp.
Tourliner
© Foto: Sascha Böhnke

Beleuchtung mit Verbesserungspotenzial

In Sachen Licht hinterlässt der gefahrene Bus einen gemischten Eindruck. Und so gilt hier passend wie selten: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Doch der Reihe nach: Ja, es gibt ihn auch in einem Tourliner, den Neoplan-Spirit, also dieses Gefühl, das einen an früher denken lässt und an schöne Momente. Beim Tourliner zeigt sich diese Offenbarung an einem recht unscheinbaren Detail, nämlich der Leseleuchte. Die ist zeitgemäß mit LEDs bestückt und erinnert in Form und Anmutung an den großen Bruder Starliner mit seinen drehbaren, walzenförmigen Luftdüsen. Diese Leselampen dienen zugleich als Nachtbeleuchtung, denn durch zwei Schaltstufen strahlen sie unterschiedlich stark. Die normale Raumbeleuchtung wirkt schlicht, ohne irgendwelche Lichtdesign-Kniffe. Die Leuchtstofflampen strahlen zwar direkt, dafür aber hell. Die Frontscheibe verhindert durch ihre Wölbung eine übermäßige Blendung des Fahrers, selbst wenn alle Lichtschalter auf volle Beleuchtung stehen. Rundinstrumente und Armaturen sind orange beleuchtet, hier blendet nichts und als Fahrer findet man sich auch im Dunkeln gut zurecht. Sehr hell sind auch die Kofferräume ausgeleuchtet, hier gibt es nichts zu kritisieren. Was der Bus leider nicht hat, ist eine Einstiegsbeleuchtung. Weder vorn noch im Mitteleinstieg weisen Lichter den Fahrgästen den Weg auf den unbeleuchteten Bürgersteig. Die Rückfahrkamera liefert auch bei Dunkelheit allein durch die Rückfahrscheinwerfer ein gutes Bild. H7-Scheinwerfer sind das Maximum in Sachen Außenbeleuchtung, Xenon-Licht ist nicht zu bekommen. Das ist schade, denn die Ausleuchtung der Straße ist als gerade noch akzeptabel zu bezeichnen. Da ist man als Fahrer heutzu­tage doch schon mehr gewohnt. Kein Wunder, dass sich zahlreiche Kollegen über die Beleuchtung beschweren. Schade auch, dass es keine Abbiegescheinwerfer gibt, die waren bei der Produktionsein­führung vor gut einem Jahrzehnt noch nicht vorgesehen und für das aktuelle Modell lohnt sich ein Auf- oder Umrüsten der entsprechenden Frontabschnitte wohl nicht. Die Rückleuchten werden, abgesehen von der Umrandung, konventionell beleuchtet. Meine Meinung: Einen Neoplan Tourliner hatte ich eigentlich immer etwas skeptisch betrachtet. Schließlich gab es doch schon den MAN Lion's Coach und dieser Bus funktioniert hierzulande bestens. Wer einen neuen Neoplan fahren wollte, griff zu Cityliner oder Starliner. Das sahen hierzulande wohl die meisten Unternehmer ähnlich und bescherten dem Tourliner nur mäßige Stückzahlen. Anders sieht es außerhalb der deutschen Grenzen aus, wo der Bus durchaus Erfolge feiern kann. Mit dem Edelkonzept aber zeigt der Bus noch einmal deutlich, wo der Hammer hängt. Über diesen Bus wird geredet werden, denn die Idee dahinter ist schlichtweg genial. (sab)
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