Er ist ein Hingucker. Egal, wo er auftaucht – wenn er denn mal auftaucht – drehen sich zahlreiche Passanten nach diesem Bus um. Mag sein, dass es an seinem modernen Gesicht liegt, mag sein, dass es an der auffälligen Beklebung liegt. Klar aber ist auch: Noch nie musste unser Testfahrer im Rahmen des Supertests an Berliner Haltestellen so viele Fahrgäste vom Einsteigen abhalten wie in diesem Fall. Kein Wunder, der Bus wirkt ja auch einladend. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Dafür sorgen nämlich LED-Lichtbänder an den vertikalen Längsseiten der Türeninnenkanten, die beim Öffnen der Türen in hellem Grün erstrahlen. „Willkommen an Bord – hier bitte einsteigen“, das ist die Botschaft, die von dieser Art der Signalisierung ausgeht. Wenn der Fahrer anschließend die Türen schließt, ändert sich die Lichtfarbe in ein blinkendes Rot. Genau solche einfachen, aber wirkungsvollen Dinge sind es, die zu einem modernen ÖPNV gehören. Leider hat sich das aber noch nicht bis in die deutsche Verkehrsverwaltung herumgesprochen. Denn wer diese Lichtbänder einsetzen möchte, muss dies in seiner Kommune per Einzelabnahme beantragen. Wenn alles gutgeht, darf das System zum Einsatz kommen. Zum Glück gibt es beim Rest der Lichtthematik solche Spitzfindigkeiten nicht. Wäre ja auch zu schade, denn ohnehin zählen die neuen MAN-Scheinwerfer zu den interessantesten, die der Markt derzeit zu bieten hat. Die Voll-LED Leuchten werden „überkrönt“ von einer verchromten Spange, die den Stadtbus optisch aufwertet. Also keine Spur von langweiligem Linienbus-Design, das gilt auch oder erst recht für die Seitenflächen.
Segmentierte Seitenwände heißt das Zauberwort, mit welchem MAN Kosten in der Produktion und bei eventuellen Reparaturen sparen will. Der untere Bereich besteht aus Kunststoff-Paneelen, die sich per Schnellverschluss zügig wechseln lassen. Gerade im unteren Bereich sind Rempler in der Stadt keine Seltenheit. Direkt darüber geht es mit Glas-Paneelen weiter. Die sorgen auf der einen Seite für eine coole Optik, auf der anderen Seite dienen sie einer höheren Stabilität. Sie gehören untrennbar zum selbsttragenden Konzept des Lion’s City. Weiterer Vorteil: Kommt es in diesem Bereich zu Streifberührungen mit Gegenständen oder Fahrzeugen, ist nicht gleich mit Kratzern zu rechnen – Glas ist hart. Erst dann schließen sich die konventionellen Seitenscheiben an, die bis kurz unter die Dachrandverkleidung reichen. Das Ergebnis ist eine ausgezeichnete Aussicht für die Passagiere. Die Dachrandverkleidung gehört übrigens auch beim normalen Dieselbus ohne Dachaufbauten zum Designkonzept, welches grundsätzlich von scharfen, modernen Kanten dominiert wird. Neu und leichter als bei der bisherigen Generation ist die Motorraumklappe.
Überhaupt wurde bei der Neukonstruktion des Busses darauf geachtet, bereits im Rohbau moderne, hochfeste Verbindungen des Gerippes zu verwenden: Das erhöht die Gesamtsteifigkeit und verringert das Gewicht. Das Leergewicht des Testbusses lag bei gemessenen 11.420 Kilogramm. Das ist ein sehr guter Wert. Getestet wurde dann mit einer 70-Prozent-Beladung, also mit 15.800 Kilogramm, zu denen noch Fahrer und zwei Begleiter kamen. Die Teststrecke in Berlin ist äußerst anspruchsvoll und nichts für Spritspar-Fetischisten. Selbst der härteste SORT-Zyklus, nämlich SORT 1, erreicht nicht die hohen Verbrauchswerte, die im Berliner Zentrum erfahren werden. Vielleicht erinnert sich der eine oder andere Leser an den atemberaubend hohen Verbrauch des MAN Lion’s City Euro 6 von 2016: Der lag im Durchschnitt bei 48 Litern auf 100 Kilometer. Doch nun ist ein Generationen-Wechsel erfolgt, und der Lion’s City 2019 hat mit dem von 2016 nur noch eines gemeinsam: den Namen.
Neben dem Design hat nämlich auch ein neuer Antrieb Einzug gehalten. Verbaut ist der D-15-Motor, das ist ein Aggregat mit einem Hubraum von neun Litern. Gerade mal 280 PS stehen auf dem Papier, und dazu noch mager klingende 1.200 Nm als maximales Drehmoment. Doch keine Panik, das reicht. Auch beladen quält sich der Bus zu keiner Zeit und in keiner Situation, er kommt stets zügig vom Fleck. Hatten Fahrer früherer MAN-Stadtbusse durchaus gelegentlich das Problem der unzureichenden Beschleunigung, lag das meist an einer zu strengen Abregelung der Busse beim Beschleunigen durch den Hersteller. Solche Tricks sind mittlerweile nicht mehr nötig, der Verbrauch in Berlin mit nun nur noch 42 Litern auf 100 Kilometer ist ein Statement, welches für sich spricht. Es gibt sicherlich viele Gründe, weshalb der aktuelle Bus nun in einem endlich moderaten Verbrauchsfenster unterwegs ist, einer trägt die Abkürzung KSG, was so viel wie Kurbelwellenstartergenerator bedeutet. Dabei handelt es sich um ein Hybrid-Modul, welches direkt zwischen Motor und Getriebe verbaut ist. Im Grunde erfüllt es drei Aufgaben. Die erste Aufgabe ist das Starten des Motors nach einem Halt an der Ampel oder einer Haltestelle mit einem Drehmoment von ordentlichen 520 Nm. Sind die auf dem Dach verbauten Ultracaps mit einer Kapazität von 40 Wh ausreichend voll, geht der Bus automatisch aus. Beim Tritt auf das Gaspedal wird der Motor direkt ohne Umwege angeworfen. Das ist effizient und geht sehr schnell. So schnell, dass man als Fahrer kaum eine Verzögerung beim Anfahren spürt. Also Gas geben, Motorstart und Losfahren geschehen in Sekundenbruchteilen. Das hat MAN sehr sauber gelöst. Da hier der nach wie vor vorhandene Anlasser nicht benötigt wird, ist das Ganze zudem verschleißfrei. Die zweite Aufgabe des Hybrid-Moduls ist die Versorgung des gesamten 24-Volt-Bordnetzes bei abgeschaltetem Motor mit Energie. Alle Verbraucher bis zu einer Gesamtstromanforderung von 185 A werden damit abgedeckt. Steht der Bus zu lange, und gehen die Energiereserven zur Neige, wird der Motor selbstständig gestartet. Allerdings fiel am ersten Testtag, an dem es sehr warm war, auf, dass die Klimaleistung zu wünschen übrig ließ. Denn beim Motorstopp arbeitet auch der Klimakompressor nicht mehr, zudem werden die Lüfter heruntergefahren. Der zweite Testtag war ein Tag ohne Sonne bei Temperaturen um die 24 Grad. Das stellte die Klimatisierung vor keine Probleme. Die dritte Aufgabe nun ist eine Boost-Funktion beim Anfahren. Mit etwa 320 Nm unterstützt das Hybrid-Modul den Motor und sorgt damit für eine Portion Extra-Schub. Tatsächlich spürt man davon als Fahrer nichts, das ist aber auch beim ähnlichen Daimler-System im Citaro nicht anders. Der Sinn dahinter ist eine Entlastung des Dieselmotors, woraus eine Kraftstoffeinsparung resultiert.
